10 Bücher, die ich
lesenswert finde.

10 Bücher, die ich
lesenswert finde.

buchcover_Was-wäre,-wenn--Ein-Gespräch-mit-Sieglinde-Geisel

Was wäre, wenn? Ein Gespräch mit Sieglinde Geisel.

Bichsel, Peter (Zürich: Kampa Verlag 2018.)

Die Frage: «was wäre, wenn?» ist die klassische Frage für die Möglichkeiten der Literatur. Der grosse Autor Peter Bichsel ist am 15. März 2025 verstorben. Er war ein glänzender Beobachter, ein Meister der literarischen Kurzprosa, und erw war sich nie zu schade, für die «Schweizer Illustrierte» jahrelang Kolumnen zu schreiben. Damit erreichte er es, Menschen für die Literatur zu begeistern. In diesem Gespräch mit Sieglinde Geisel geht es um Schreiben und Lesen, Politik und Religion, Schweiz und Heimat, Liebe und Tod. Wer den Menschen Bichsel kennenlernen möchte, und sein Werk, dem sei dieses wunderschöne Buch ans Herz gelegt. Ein grossartiger Schriftsteller.

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Unter dem Pflaster liegt der Strand.

Harstad, Johan (Berlin: Ullstein 2025 (orig. 2024))

Eine Warnung vorneweg: Dieser Roman hat 1148 eng bedruckte Seiten. Ich entdeckte Johan Harstad 2019 mit seinem Roman «Max, Mischa und die Tet-Offensive», ebenfalls ein riesiges Werk im Umfang, aber eben auch im Inhalt, das ich fasziniert verschlungen habe. Der neue Roman von Harstadt handelt von der Lebensgeschichte von vier Jugendlichen, einem ominösen Reaktor in Forus bei Stavanger, einem geheimnisvollen Gegenstand, der Blicke in die Zukunft erlaubt. Dieser Roman ist rätselhafter, komplexer und weitscheifiger als der erste, den ich gelesen habe. Die Lektüre ist nicht sehr leicht, es braucht viel Konzentration. Aber für mich persönlich insgesamt wiederum ein grossartiges Leseerlebnis mit Poesie, auch Komik, Zeitkritik und physikalischen wie philosophischen Reflexionen. Ein zeitgenössisches Panorama. Lesenswert, aber wie gesagt, nicht leichte Kost.

buchcover_Vor-dem-Untergang.-Hitlers-Jahre-in-der-Wolfsschanze

Vor dem Untergang. Hitlers Jahre in der «Wolfsschanze».

Bohr, Felix (Berlin: Suhrkamp 2025)

Nirgendwo verbrachte Hitler im Zweiten Weltkrieg mehr Zeit als im ostpreussischen Führerhauptquartier Wolfsschanze. Dort wurden auch die Befehle zur Vernichtung der jüdischen Bevölkerung erteilt. Felix Bohr beschreibt sehr eindrücklich und anschaulich den Alltag in der Kommandozentrale. Dabei wird auch deutlich, wie die Abschottung Hitlers schon sehr früh begann, und wie chaotisch die Führung Hitlerdeutschlands verlief. Abgeschirmt von der Realität, umgeben von Leuten, die nicht wagten, dem Führer zu widersprechen oder die Fakten darzulegen. Hitler vertraute niemandem, wollte alles selbst entscheiden, flüchtete aber immer wieder in seine eigenen Welten, was schliesslich zur Verlängerung des Kriegs führte. Ein beeindruckendes Dokument der Zeitgeschichte, spannend erzählt.

buchcover_Daily-Soap

Daily Soap.

Osagiobare, Nora (Zürich: Kein & Aber 2025)

Ein äusserst erfolgreicher Debütroman im Frühling 2025 aus der Schweiz. Eine klassische Satire, die mit Übertreibungen arbeitet, mit der harten Gegenüberstellung von Gegensätzen wie unterschiedlichen Gesellschaftsschichten, oder hohen Idealen und gelebter harter Realität, Verstellungen, Marketing, und Rassismus in der heutigen Schweiz. Es ist ein rasanter Roman, der es den Leserinnen und Lesern nicht einfach macht, in einer ganz eigenen Sprache und eigenem Duktus. Aber wie beispielsweise ein Unternehmen sich vom (berechtigten) Rassismus Vorwurf mit einer Reality Show befreien will, ist hervorragend und irrwitzig komisch beschrieben. Das Ende des Romans ist überraschend, berührend und verstörend.

buchcover_Das-Narrenschiff

Das Narrenschiff.

Christoph Hein (Berlin: Suhrkamp 2025)

Ich lese immer wieder Werke des ostdeutschen Schriftstellers Christoph Hein, der als Autor in der DDR begann, und mit «Drachenblut» Aufsehen erregte. «Das Narrenschiff» ist fast so etwas wie eine literarische Geschichte der DDR, von der Gründung bis zum Mauerfall. In seinem Gesellschaftsroman lässt Christoph Hein Frauen und Männer aufeinandertreffen, denen bei der Gründung der DDR unterschiedlichste Rollen zuteilwerden, begleitet sie durch die dramatischen Entwicklungen einer im Werden befindlichen Gesellschaft, die das bessere Deutschland zu repräsentieren vermeint und doch von einem Scheitern zum nächsten eilt. Ein umfassendes Panorama eines Staates, dessen Führung die Ideale nach aussen vertrat und in der Realität verriet. Lesenswert.

buchcover_Russische-Spezialitäten

Russische Spezialitäten.

Kapitelman, Dimitrij (Berlin: Hanser 2025)

Dmitrij Kapitelman schreibt in seinem neuen Roman über Familie und die (Un-)Möglichkeit der Verständigung in Zeiten alter und neuer Kriege. Eine Familie aus Kyjiw verkauft russische Spezialitäten in Leipzig. Wodka, Pelmeni, SIM-Karten, Matrosenshirts – und ein irgendwie osteuropäisches Zusammengehörigkeitsgefühl. Wobei, Letzteres ist seit dem russischen Überfall auf die Ukraine nicht mehr zu haben. Die Mutter steht an der Seite Putins. Und ihr Sohn, der keine Sprache mehr als die russische liebt, keinen Menschen mehr als seine Mutter, aber auch keine Stadt mehr als Kyjiw, verzweifelt. Klug ist es nicht von ihm, mitten im Krieg in die Ukraine zurückzufahren. Aber was soll er tun, wenn es nun einmal keinen anderen Weg gibt, um Mama vom Faschismus und den irren russischen Fernsehlügen zurückzuholen? Ein hoch unterhaltsamer Roman, mit teilweise grotesken und absurden Szenen, bei denen man lachen muss, und dann wird einem wieder bewusst, welch schreckliche Realität hier gezeigt wird.

buchcover_Das-mangelnde-Licht

Das mangelnde Licht.

Haratischwili, Nino (Frankfurt: Frankfurter Verlagsanstalt 2022)

Die georgische Autorin erzählt in ihrem grossartigen epischen Roman vom postsowjetischen Kriegsgrauen in Georgien und von vier Freundinnen, die alle beschädigt daraus hervorgehen: Keto, aus deren rückschauender Perspektive erzählt wird, beginnt im Krieg sich selbst zu verletzen, Nene wird wie viele Frauen damals Opfer des wuchernden Patriarchats. Dabei geht es um die «komplexen Wirkmechanismen» in Tiflis nach dem sowjetischen Einmarsch 1989, die die Gesellschaft prägten und traumatisierten, um Eltern, Nachbarn und Kollegen der Protagonistinnen, und um die «verpestete Idylle», die sich nach der Unabhängigkeitserklärung 1991 einstellte. Haratischwili erzählt beindruckend, spannend, vielfältig und feinfühlig. Man kann nicht aufhören zu lesen. Und erfährt viel über ein Land, dessen Bevölkerung nach dem Zusammenbruch des Sowjetreichs auf bessere demokratische Zeiten hoffte, und enttäuscht wird.

buchcover_Das-Lied-des-Propheten

Das Lied des Propheten.

Lynch, Paul (Stuttgart: Klett-Cotta 2024)

Das Buch spielt in der Zukunft, Irland ist eine Diktatur geworden, Grundrechte gelten nicht mehr. Die im Zentrum der Geschichte stehende vierfache Mutter Eilish verliert ihren Mann in einem Folterkeller, ein Sohn geht in den Untergrund, ein anderer liegt im Krankenhaus, der Weg zu ihm ist hochgefährlich. In einer dramatisch atemlosen Sprache, an die man sich gewöhnen muss, schildert Lynch, wie von einer Demokratie fliessend eine Diktatur wird. Die Kräfte, die diese Umwandlung bewirken, sind unbekannt. Das macht sie nur bedrohlicher. Eine eindrückliche Warnung, wie Zivilgesellschaften und Demokratien gefährdet sind, wenn die Institutionen übernommen werden von Kreisen, die die Demokratie abschaffen wollen. Die Parallelen zur globalen Realität sind unüberschaubar. Ein erschütternder Roman.

buchcover_How-the-world-eats.-A-global-food-philosophy

How the world eats. A global food philosophy.

Baggini, Julian (London: Granta Books 2025)

Der Philosoph Julian Baggini befasst sich ausführlich und reich an Wissen mit den besten und schlechtesten Ernährungspraktiken weltweit in einer Vielzahl unterschiedlicher Gesellschaften der Vergangenheit und Gegenwart. Dabei untersucht er unter anderem modernste Technologien, die ethischen und gesundheitlichen Aspekte hoch verarbeiteter Lebensmittel und die Wirksamkeit unserer Lebensmittelpolitik, um grundlegende Prinzipien für den Aufbau eines Ernährungssystems zu erarbeiten, das für das 21. Jahrhundert und darüber hinaus geeignet ist. Baggini zeigt, ohne zu moralisieren, was schief läuft in der Globalisierung und welche Ansätze geeignet sein könnten, um eine Verbesserung für Mensch, Tiere und Umwelt zu erreichen. Eine sehr interessante Lektüre.

buchcover_Die-Kostenexplosion-im-Gesundheitssystem.-Wie-das-System-zum-Patienten-wird

Die Kostenexplosion im Gesundheitssystem. Wie das System zum Patienten wird.

Kistler, Andreas (Basel: NZZ Libro, Schwabe Verlag 2025)

Wir haben eines der besten, aber auch eines der teuersten Gesundheitssysteme der Welt. Die steigenden Gesundheitskosten und damit die hohen Prämien gehören regelmässig zu den grössten Sorgen der Schweizerinnen und Schweizer. An Ratschlägen mangelt es nicht, was man tun soll. Aber an Mehrheiten und dem Willen, das System neu zu denken. Kistler zeigt in einem sehr gut verständlichen Buch auf, dass sogenannt „marktwirtschaftliche“ Rezepte nicht funktionieren, weil das Gesundheitssystem kein funktionierender Markt ist, sondern – wie Kistler richtigerweise ausführt – eigentlich eine service public Aufgabe wie das Bildungssystem. Wer sich in dieses komplexe Thema einlesen und kompetent informiert werden will, dem oder der sei die Analyse von Kistler empfohlen.